Haushalt 2022 – FDP teilt politische Schwerpunkte nicht
Die Ratsfraktion DIE FREIEN, in der auch die FDP mit ihrem Ratsmitglied Jan-Holm Sussieck beteiligt ist, lehnt den Haushalt 2022 ab. Grund hierfür ist nicht, dass im 1. Amtsjahr des neuen Bürgermeisters nicht alle Probleme gelöst worden sind, die wir in Werther seit Jahren vor uns hertragen. Wir lehnen ihn deshalb ab, weil wir die mit diesem und durch diesen Haushalt eingeschlagene politische Richtung nicht teilen.
Weitere Informationen finden sich in der Rede zum Haushalt 2022:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren,
die erste echte „eigene“ Haushaltseinbringung unseres neuen Bürgermeisters hat in Sachen Temperament und klar ausgesprochenen langen Linien einen deutlich anderen – ich finde: erfrischenden – Ton gesetzt.
Es ist bekannt, dass ich Marion Weikes Arbeit sehr geschätzt habe, aber man wird ihr nicht zu nahe treten, wenn man sagt, dass der politische Kern des Zahlenwerks „Haushalt“ in den letzten Jahren in der Einbringungsrede nicht so deutlich freigelegt und ausgeflaggt worden ist wie in diesem Jahr mit dem sogenannten „Wertherplan“. Ich halte das für eine gute Entwicklung, weil es die Bedeutung der Haushaltsdebatte klarmacht: Es geht hier nicht zuerst darum, die Arbeit des Kämmerers zu beurteilen, sondern darum, den politischen Weg im kommenden Jahr skizzenhaft vorzuzeichnen und um ihn zu streiten. Bevor wir das tun, gehört eine Bemerkung zum Kämmerer aber natürlich dazu:
Wir danken Herrn Demoliner und seinem Team wie immer für die gewissenhafte, seriöse Arbeit und überdies für die Erläuterungen – gemeinsam mit dem Bürgermeister – in unserer Fraktionssitzung.
Bei der Vorstellung des „Wertherplans“ des Bürgermeisters hatte ich denselben Eindruck, den man oft gewinnt, wenn man Grundsatzprogramme von Parteien liest: Man wundert sich fast, dass man – zumindest auf der allgemeinsten Ebene – so ziemlich allem irgendwie zustimmen kann. Das liegt natürlich daran, dass das Gute goutiert und das Schlechte zurückgewiesen wird. Kniffliger wird es, wenn man ins Detail geht und insbesondere – und das ist ja eben die notwendige Flughöhe so eines konkreten Haushaltsplans für ein Jahr – wenn man guckt, welchen der vielen an sich wünschenswerten Belange faktisch Vorrang und Dringlichkeit eingeräumt wird.
Und hier, ich muss das so klar sagen, enden bereits die Gemeinsamkeiten unserer Fraktion mit dem „Wertherplan“ und insbesondere dem aus ihm ableiteten Haushalt 2022. Es gibt ja drei Schwerpunkte: „Solide Finanzen“, „Corona überwinden“ und „kluge Zukunftsinvestitionen“. Bei „Corona überwinden“ haben Sie uns an Ihrer Seite. Wir haben wiederholt der Verwaltung und dem Bürgermeister unsere Anerkennung für den Umgang mit den vielfältigen Herausforderungen, die aus der Pandemie in unserer Stadt erwachsen, ausgedrückt und werden Sie weiter unterstützen.
Bleiben Finanzen und Zukunftsinvestitionen: Beides ist im Wirtschaftsleben unmittelbar aneinander gekoppelt: Die aktuelle und absehbare finanzielle Lage der näheren Zukunft bestimmt, was man sich leisten kann. Das Wort„Zukunftsinvestitionen“ betont dabei, dass nicht alle Ausgaben gleichwertig anzusehen sind, sondern dass es manche gibt, die man heute tätigen sollte, weil sie sich in Zukunft positiv auf die Finanzen auswirken werden. Ich weiß, dass der kommunalrechtliche Investitionsbegriff anspruchsloser ist. Hier reicht es, dass
ein Wert geschaffen wird, den man gegenbuchen kann.
Es ist nur keinesfalls so, dass die städtischen Finanzen dadurch schon „solide“ wären, dass wir in dem Haushaltsjahr, über das wir reden, noch nicht die Allgemeine Rücklage angreifen müssen. Im Gegenteil: Perspektivisch wird das für die kommenden Jahre erwartet. Und: Es wird mit durchaus deutlichen Erhöhungen der Grundsteuer A und B gerechnet. Es stimmt, dass wir meistens – nicht immer – den fiktiven Hebesätzen gefolgt sind, aber das ist kein Automatismus und insbesondere ist es trotzdem begründungsbedürftig. Was wir also von einem Haushalt in dieser Lage erwarten würden, wäre ein Konzept, das jenseits von Steuererhöhungen entweder sagt: „Hier können wir etwas Nennenswertes einsparen“ oder „Hier können wir in Zukunft im echten, volkswirtschaftlichen Wortsinn etwas investieren, um unsere Einnahmen zu verbessern“.
Wir sind uns in Rat und Verwaltung immer einig gewesen, dass wir die „Freiwilligen Leistungen“ der Stadt mittel- und langfristig weiter aufrechterhalten wollen. Wenn das so ist und wir also „Alternative I“ nicht wollen, würde man zu „Alternative II“ irgendetwas erwarten.
Zumindest eine Idee, eine Perspektive, ein Ansatz, sollte dafür aufgezeigt werden. Ein klares „Ja“ zur Süthfeld-Bebauung hätte neben Weiterem, auf das ich noch komme, diesen Zweck erfüllt. Es ist schön, dass die Worte „Branchenmix“, „Digitalisierung“ und „Start-ups“ in der Einbringungsrede fielen, aber eben leider nur als Allgemeinplätze und damit so, dass man erkennt, dass hier jedenfalls keine dringliche Aufgabe mit konkreten Maßnahmen 2022 ausgemacht wird. Die„Zukunftsinvestitionen im weiteren Sinne“ sind also im engeren Sinne oftmals gar keine.
Stattdessen sollen wir mal eben den Personalbestand von einem Jahr auf nächste um ca. 10% erhöhen, ohne dass damit auch nur mittelbar deutliche Einnahme- verbesserungen (oder klar ausgewiesene Einsparungen an anderer Stelle) einhergehen würden. Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, dass im Detail keine nachvollziehbaren Überlegungen hinter diesen Stellenausweitungen stehen würden. Aber: Sie sind folgerichtig für eine Logik, die besagt, dass das Allerwichtigste für die Stadt Werther im kommenden Jahr (oder in kommenden 2-3 Jahren) sei, dass Mobilitäts- und Klimakonzept sowie ISEK schnell umgesetzt würden.
Auch wenn sicher viele – nicht alle – Maßnahmen in diesen Bereichen zustimmungsfähig sind, folgen wir dieser Logik nicht.
Ganz abgesehen davon, dass ich eine zunehmende Sturheit bei der Ratsmehrheit in diesen Bereichen feststelle, die möglicherweise ideologisch begründet ist und die ich nicht gerade ermutigend finde. Im Gegenteil: Es ist relativ alarmierend, dass die Stimme des Einzelhandels bei einer deutlichen Mehrheit offenbar überhaupt
keine Rolle spielt. Die Krokodilstränen werden entsprechend groß sein, wenn Geschäfte verschwinden. Weniger aufgrund einer Einzelmaßnahme, als aufgrund der Tatsache, dass manche Fraktionen offenbar den PKW-Verkehr ganz aus der Innenstadt verbannen möchten. Dabei ist das einer der Standortvorteile, die die Stadt hat. (Das sage ich übrigens als jemand, der sich in Werther eigentlich nur zu Fuß bewegt.) Der Einzelhandel braucht im Zweifel weniger Sonderaktionen, als er gute und faire Rahmenbedingungen braucht und dazu gehört, seine Belange nicht konsequent hintenanzustellen. Diese Einbahnstraßenregelung an der Ravensberger Straße bzw. ihre Dauer ist ein Gesichtspunkt, die Parkplatzfrage in der Innenstadt eine zweite und ich bin relativ sicher, dass weitere folgen werden.
Das Thema „Digitalisierung“ ist zwar durchaus an prominenter Stelle genannt worden, ein echter, substanzieller Schwerpunkt auf der Handlungsebene ist aber nur begrenzt erkennbar: Für Hardware etwa stehen im Produkt 01.05.02 ganze 16.000 Euro bei 59 EDV-Arbeitsplätzen in der Verwaltung zur Verfügung…
Das größte und dringendste Problem für die Zukunftsaussichten unserer Stadt wird – abgesehen von den seit fast einer Dekade von Haushalt zu Haushalt verschobenen Blotenberg-Mitteln – hingegen überhaupt nicht adressiert.
Es ist die Demografie, also die Bevölkerungsentwicklung in unserer Stadt. Alle Erhebungen, die in den letzten Jahren gemacht und veröffentlicht worden sind, sagen unisono dasselbe:
Werther überaltert und perspektivisch wird es schrumpfen; und wenn nicht schnell gegengesteuert wird, steht zu befürchten: in geradezu hoffmannschem Ausmaß. Als Folge entwickelt sich der Preis für Wohnraum, egal ob zur Miete oder zum Kauf, tendenziell so wie wir es aus Großstädten kennen, während die Abwanderung sich so entwickelt, als wäre wir abgehängter ländlicher Raum im Nirgendwo.
Gerade wenn man sieht und beschwört, welche Stärken Werther hat
– „romantisch“ hat der Bürgermeister das mit Recht zusammengefasst –
dann müssen wir dringend alles daransetzen, die, grob gesagt, 25-45-Jährigen, die Wohneigentum erwerben wollen, in dieser Stadt zu halten. Sie sind es, die hier den Laden in den nächsten 20, 30, 40 Jahren schmeißen sollen, sich am gesellschaftlichen und kulturellen Leben beteiligen, ihre Kinder in unsere Einrichtungen schicken usw. usw. Ich bin sehr gespannt und auch ein bisschen besorgt wegen des anstehenden Workshops zu Wohnformen, weil ich befürchte, dass schon wieder irgendwelche am im wahrsten Sinne des Wortes (dunkel)grünen Tisch entstandenen Ideen im Stadtrat mehrheitsfähig werden, die ohne jede Berücksichtigung dessen auskommen, wofür wirkliche Menschen in unseren Breiten bereit sind, sich bis zum Eintritt in den Ruhestand zu verschulden. In Borgholzhausen, selbst in Lenzinghausen, von Halle ganz zu schweigen, so konnte man allein dieses Jahr lesen, denkt man offensichtlich anders über diese Themen und die Leute stimmen darüber mit den Füßen ab.
Uns Freien bleibt nur, beharrlich bei Ihnen dafür zu werben, den eingeschlagenen Kurs zu verändern. Das gilt insgesamt. Auch wenn es nicht nur ein, wie gesagt, seriös erarbeiteter Haushalt ist, sondern auch Einzelposten in die richtige Richtung gehen. Ich nenne hier insbesondere die Wiedererhöhung des Betrags für die Straßensanierung.
Ich danke allen für die fairen Diskussionen und muss man muss selbst auch fair bleiben: Wir lehnen den Haushalt nicht deshalb ab, weil im 1. Amtsjahr des neuen Bürgermeisters nicht alle Probleme gelöst worden sind, die wir seit Jahren vor uns hertragen. Wir lehnen ihn deshalb ab, weil wir die mit diesem und durch diesen Haushalt eingeschlagene politische Richtung nicht teilen.