Haushalt 2023 – Falsche Schwerpunkte
Die Umkehrung der seit Jahren gegen den Trend des gesamten Kreises Gütersloh negative Bevölkerungsbevölkerungsentwicklung der Stadt Werther ist für uns die zentrale politische Aufgabe für Rat und Verwaltung. Diese findet in dem aktuellen Haushalt für 2023 nur unzureichend Berücksichtigung, so dass die Ratsfraktion DIE FREIEN den Haushalt 2023 folgerichtig abgelehnt hat.
Die UWG und die WDGA haben ebenfalls dem Haushalt ihre Zustimmung verweigert. Da SPD, Grüne und der Bürgermeister ihre Zustimmung signalisierten, lag es an der CDU, ob der Haushalt verabschiedet werden konnte. Durch die Enthaltung der CDU gab es bei der Abstimmung eine knappe Mehrheit für den Haushalt, wobei aber insgesamt nicht einmal die Hälfte aller Ratsmitglieder diesem ihre Zustimmung gegeben haben. Wir bedauern das Abstimmverhalten der CDU sehr, da sie noch in ihrer Haushaltsrede scharfe Kritik am Haushalt und Bürgermeister geäußert hat. Es wurde leider die große Chance vertan, durch Nachverhandlungen Verbesserungen am Haushalt zu erzielen.
Nachfolgend die Haushaltsrede von Jan-Holm Sussieck:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren,
nach zwei Jahren pandemiebedingtem Haushaltsreden-Lesens sprechen wir heute wieder mit- und zueinander und ich muss sagen, ich habe diesen Austausch über den Haushalt, der ja immer auch ein Austausch über die generelle Lage der Stadt ist, sehr vermisst – umso schöner, dass er wieder möglich ist.
Insbesondere halte ich ihn für wichtig, weil so auch der interessierten Öffentlichkeit deutlich werden kann, wie stark sich die Haltungen der Fraktionen hier zum Teil unterscheiden – und wie man zugleich respektvoll miteinander umgehen kann.
Im Zusammenhang mit der Eröffnung der Fahrradzone haben wir an einem kleinen, aber durchaus einschlägigen Beispiel erlebt, dass Meinungsvielfalt und Respekt durchaus eng miteinander zusammenhängen – nicht zuletzt so, dass der Respekt für die Demokratie abnimmt, wenn man den Eindruck gewinnt, es wäre mit der Meinungsvielfalt nicht weit her. Insofern sollten wir uns von Zeit zu Zeit klarmachen, dass Streit – sofern er fair und respektvoll abläuft – ein Überlebenselexier der Demokratie ist – und zwar auf allen Ebenen. Zunächst bedanken wir uns wie immer herzlich beim Kämmerer und beim Bürgermeister für die geduldigen Erläuterungen zum Haushalt. Und natürlich freut sich die Verwaltung verständlicherweise über möglichst große Einmütigkeit zu ihren Vorschlägen, aber das ist eben nicht unsere Aufgabe als Ratsmitglieder und sollte vielleicht sogar eher die Ausnahme als die Regel sein.
Bei der Fahrradzone haben wir einen solchen Konsens gehabt, weil es einfach eine sinnvolle und wichtige Sache ist, die Belange aller Verkehrsteilnehmer – hier der Radfahrer – zu ihrem Recht kommen zu lassen. Im Unterschied zur Einbahnstraße hat man hier mit einem kleinen Eingriff, der gar keine wirklichen Verlierer produziert, ein klares Problem, nämlich die Verkehrssicherheit der Radfahrer, bekämpft – hoffentlich mit dem Zusatznutzen, dass es die eine oder der andere auch attraktiver findet, sich umweltfreundlich in die Innenstadt zu bewegen.
Bei der Einbahnstraße haben wir das glatte Gegenteil: Hohe materielle Kosten (für den Einzelhandel genauso wie für die Steuerzahler), hohe immatrielle Kosten (an Nerven, Lebenszeit, harmonischem Miteinander und dergleichen) bei äußerst ungewissem Erfolg, der auch noch mit völlig ungeeigneten Methoden ermittelt, ich sage voraus: behauptet, werden wird. Diese Einbahnstraße ist und bleibt in Wirklichkeit eine Sackgasse und wenn irgendjemand aus den größeren Fraktionen signalisieren würde, dass sich an der bedauerlichen Haltung der Mehrheit hier auch nur etwas geändert haben könnte, können Sie sicher sein: Die Freien werden zu jeder Tages- und Nachtzeit mit großer Freude erneut beantragen, diesen Unsinn umgehend zu beenden.
Das wirklich Ärgerliche an dieser und ähnlichen Debatten ist aber eigentlich etwas ganz anderes: Das wirklich Ärgerliche ist, dass damit Aufmerksamkeit und Energie von den wirklich entscheidenden Themen abgezogen wird. Entscheidend in dem Sinne, dass die Sachlage von uns einfordern würde, strategische Weichenstellungen zu treffen. Darin sind wir als Stadtrat insgesamt nicht besonders gut. Deshalb biege ich jetzt bewusst nicht etwa Richtung Grundschule und Stadtpark ab, sondern möchte das unserer Überzeugung nach wichtigste Thema der Wertheraner Kommunalpolitik in den Mittelpunkt stellen: die Bevölkerungsentwicklung in unserer Stadt.
Wir erinnern uns von Zeit zu Zeit in Partei und Fraktion gegenseitig daran, dass der Bürgermeister unserer Nachbarstadt Borgholzhausen, Dirk Speckmann, Sozialdemokrat, vor einigen Jahren sehr klar gesagt hat: „Wir müssen jedes Jahr einen Zuwachs von 2% unserer Bevölkerung anstreben, damit wir langfristig unsere Einwohnerzahl und dementsprechend auch unsere öffentliche Infrastruktur erhalten können.“ Der Mann hat nicht nur Recht, sondern damit zwei ganz entscheidende Dinge eingeschlossen: Das nötige Problembewusstsein dafür, dass eine schrumpfende Kommune zwangsläufig vielfältigste Nachteile, Teuerungen, Einschränkungen usw. für die dort Lebenden bedeutet und vor allem, dass man selbst etwas tun kann und muss, um das zu verhindern.
In diesem Kreis wird viel zu oft so getan, als seien es Naturgesetze, die bestimmten, wie sich die Bevölkerungszahl entwickelt. Wir bekommen seit einigen Jahren im Abstand von wenigen Monaten von ganz verschiedener Seite schwarz auf weiß dokumentiert, dass wir die älteste Kommune weit und breit sind und immer deutlicher werden und dass wir die ungünstigste Prognose haben. Und das bei unserer hochattraktiven Lage und eigentlich auch hochattraktiven Stadt insgesamt. Und was passiert: Schulterzucken bei denjenigen, für die „Wachstum, Innovation, Eigeninitiative, Selbstbestimmung“ ohnehin einen schlechteren Klang als „Einschränkung, Rückbau, Verbot und Kollektiv“ haben, mehrheitlich abgelehnte Anträge auf unserer Seite des Raums und leider auch beim Bürgermeister zu wenig Priorität in dieser Sache. Es ist ja keine Frage, dass vieles, was unter der Überschrift „Wertherplan“ benannt wird, sinnvoll ist. Aber wir müssen uns an das halten, was wir faktisch sehen und erleben – insbesondere, wo Prioritäten liegen. In der Tat ist es nicht so, dass nichts passieren würde. Es gibt Bauprojekte in der Stadt – Engerstraße, Schlingweg – es geht beim Blotenberg weiter, es steht Geld für Bauleitplanung über den Blotenberg hinaus im Haushaltsentwurf. Das ist löblich und zu begrüßen, keine Frage. Traurig ist allerdings, dass man das schon fast mutig nennen muss. Da kommt sofort eine Fraktion – wie ernst auch immer das wirklich gemeint war – und will das schon wieder um die Hälfte reduzieren! Teure Symbolpolitik, vorzugsweise im Umweltbereich, kann man dagegen ja schließlich nie genug haben. Das ist unsere Verantwortung, die des Stadtrates!
Denn in Wirklichkeit ist es doch so: Ein selbstbewusster Stadtrat hat selbstverständlich die Aufgabe, die politische Agenda selbst zu setzen. Und natürlich möchte die Verwaltung und der Bürgermeister an ihrer Spitze etwas produktiv umsetzen und sich nicht laufend Abstimmungsniederlagen einfangen. Also reflektiert die Verwaltung vor allem das, von dem sie sieht, dass es mehrheitsfähig ist und die gewählten Leute dafür brennen. Und dann ist es schon sehr symptomatisch, wenn die Konsensformel im „Wertherplan“ lautet: „Wir investieren in die Zukunft des Wohnens.“ Wer könnte da dagegen sein!
Nur – ich wiederhole mich – da steht eben nicht, dass die Bevölkerungsentwicklung und -überalterung als Priorität 1A zu adressieren wäre. Leider reflektiert der Bürgermeister damit die Verhältnisse hier wohl ganz richtig. Es ist ja sogar so, dass die Verwaltung aus eigenem Antrieb Verfügbarkeiten von Grundstücken abfragt und sich dann aus dem politischen Raum auch noch fragen lassen muss, wer sie denn dazu beauftragt hätte!
Deshalb würde ich mich sehr, sehr freuen, wenn ich mich irrte, dass ich aus der Position der Minderheit in diesem Raum spreche, wenn ich feststelle: Das demografische Problem ist das größte, das diese Stadt hat und was wir dringend brauchen, ist eine Strategie, dem zu begegnen, die über Klein-Klein hinaus geht. Aber dafür muss jeder an seiner Stelle auch seinen Beitrag leisten: Wenn in der UWG und in der CDU das, wie man ja von Zeit zu Zeit hört, geteilt wird, dann glaube ich auch, würden Eure Wähler erwarten, am Ende des Tages auch mal ein wenig konsequenter und weniger handzahm zu agieren. Wenn die Dinge doch letztendlich immer wieder durchgewunken werden (und sei es durch Enthaltung), gibt es nicht den Hauch einer Chance auf eine Mehrheit und damit verbunden auch gar keinen Anlass für einen Politikwechsel.
Seit Jahren wiederhole ich mich an dieser Stelle: Wieder ein Jahr, in dem junge Menschen, die Wohneigentum erwerben wollen und über Jahrzehnte tragende Säulen unserer Stadtgesellschaft sein könnten und vielleicht sogar eigentlich wollten, sich notgedrungen woanders umgucken. Natürlich: manche werden hier fündig, aber eben zu wenige. Die „Zukunft des Wohnens“ ist jedenfalls nicht die, die irgendwelche politischen Gremien beschließen, sondern die, die wirkliche Menschen anstreben und für die sie bereit sind, sich zu verschulden. Richtig ist: Wir konkurrieren nicht mit dem Prenzlauer Berg; können wir nicht, wollen wir auch gar nicht. Die, die ich hier im Blick habe, ziehen aber auch nicht an den Prenzlauer Berg, die ziehen nach Lenzinghausen!
Alle unsere finanziellen Probleme im Haushalt, unsere materielle wie kulturelle und soziale Infrastruktur, das was uns wertvoll ist und diese Stadt lebenswert macht, die berühmten freiwilligen Leistungen, sie hängen im Prinzip an zwei Dingen: An der Bevölkerungszahl und -zusammensetzung und an der Wirtschaftsstruktur. Wir täten – kein Konjunktiv: wir tun gut daran, im kommenden Jahr diese Einsicht „scharf zu stellen“ und mutige Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Ich finde es wirklich gut, dass der Bürgermeister – wenn auch nur als vages Fernziel – benennt, Arbeitsräume und -plätze für Gründungen schaffen zu wollen. Da kann ich nur sagen: Mutig voran!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst uns das aufgreifen, lasst uns signalisieren, wir haben erkannt, dass wir gerade in komplizierten Zeiten mehr an den Bedingungen dafür arbeiten müssen, dass wir unsere Ausgabenwünsche auch selbst finanzieren können. Dafür brauchen wir keine Steuererhöhungen – in dieser Zeit, bei diesen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger! Es ist schon reichlich instinktlos, dass die Landtagsmehrheit die Erhöhung der fiktiven Hebesätze nicht zu vermeiden wusste, umso besser, dass es auf Bundesebene anders ist (zumindest, wenn diese langfristig geplante Grundsteuerreform außer Acht bleibt). Leider hat sich die überwältigende Mehrheit am Dienstag im Haupt- und Finanzausschuss anders entschieden. Ich habe eben einen Sozialdemokraten aus Borgholzhausen gelobt, jetzt lobe ich als Ausgleich auch mal die dortigen Christdemokraten – die haben, wie man lesen konnte, dort beantragt, auf Steuererhöhungen zu verzichten…
Schade, dass wir uns hier nicht einigen können – in diesem Punkt, wie an zahlreichen anderen. Wir versuchen es im Sinne der Stadt, seiner Menschen und seiner kommunalen Demokratie im nächsten Jahr auf ein Neues… Diesmal müssen wir folgerichtig den Haushaltsentwurf ablehnen.
Vielen Dank!