Haushalt 2024 – FDP/DIE FREIEN enthalten sich
„Der Haushalt 2024 mit einer bisher nicht gekannten Deckungslücke zeigt, dass wir in Werther so nicht weitermachen können“, so Fraktionsvorsitzender Jan-Holm Sussieck in seiner Haushaltsrede. „Das ist auch der Hintergrund unseres Antrags im Haupt- und Finanzausschuss, nämlich die Verwaltung zu beauftragen, ihre Ressourcen verstärkt dafür einzubringen, die Einnahmesituation der Stadt zu verbessern. Ich danke einer – wenn auch knappen – Mehrheit, die unseren Antrag unterstützt hat und damit diesem Thema eine neuartige Priorität einzuräumt. Vor diesem Hintergrund und den geringen Spielräumen lehnen wir den Haushalt in diesem Jahr nicht ab, sondern enthalten uns der Stimme.“
Nachfolgend die Haushaltsrede von Jan-Holm Sussieck anlässlich der Ratssitzung vom 14.12.2023:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren,
in der Vorbereitung dieser Rede wollte ich mal in alte Reden der vergangenen Jahre gucken, inwiefern sich bestimmte Themen wirklich so durchziehen, wie ich das in Erinnerung habe – und wie das immer so ist, es entpuppt sich doch nochmal interessanter, als man vorher gedachtet hatte und man liest sich fest.
Und so symptomatisch wie erschütternd ist, dass ich bestimmt 70-80% dessen, was ich hier im Jahr 2012, also vor elf Jahren, vorgetragen habe, weitgehend wortgleich wiederholen könnte. (Strenggenommen nicht hier, sondern im Haus Werther.) Ich komme darauf zurück.
Eigentlich überflüssig festzuhalten, dass die Welt heute in vielerlei Hinsicht eine andere ist als vor elf Jahren. Bezogen auf das prognostizierte Wertheraner Haushaltsergebnis hat sie sich zum Schlechteren verändert. Es gibt keine Ausgleichsrücklage mehr, wir peilen ein Defizit an, das vermutlich – ich habe das nicht nachrecherchiert – Rekorde brechen wird.
Wenn man in diesen Tagen die Nachrichten verfolgt, liegt allerdings der Gedanke nahe, dass dies ein Problem ist, das die öffentlichen Haushalte im Allgemeinen haben und Werther nur so eine Art „kleiner Anwendungsfall“ eines Prinzips ist, das sich – freilich in ganz anderen Dimensionen – auch etwa im Bundeshaushalt zeigt. Wenn es so wäre, könnten wir hier ja sagen: Die Probleme sind anderswo verursacht, also müssen sie auch anderswo gelöst werden. Aber so ist es nur zum Teil.
Gemeinsam ist das Grundproblem – und das ist: Der Staat breitet sich immer weiter aus, beansprucht die heute steuerzahlenden Menschen und Unternehmen, aber auch die zukünftigen, immer stärker – meinem Eindruck nach ohne, dass dadurch die große Glückseligkeit ausgebrochen wäre, eher nimmt allerorten der Frust zu. Natürlich steht das auch im direkten Zusammenhang. Vor allem haben wohl viele Leute berechtigterweise den Eindruck, dass Vergangenheit und Gegenwart die
Ausgaben dominieren und dadurch echte Investitionen im Zweifel zurückstehen müssen. Beinahe ein Drittel des Bundeshalts für dieses Jahr machen allein der Schuldendienst und der seit Jahren größte Haushaltsposten, der Zuschuss zur Gesetzlichen Rentenversicherung, zusammengenommen aus. Ich habe mal die Haushaltsentwürfe des Bundes und der Stadt Werther der Jahre 2019 und 2024 jeweils miteinander verglichen, im aktuellen Fall des Bundes den ursprünglichen, im Mai vom Kabinett beschlossenen. Die Ausgaben im Bund steigen von 356,8 auf 445,7 Mrd. Euro, d.h. um 24,9% in diesen fünf Jahren, die der Stadt Werther von 20,4 Mio. auf 26,6 Mio. Euro, das ist ein Anstieg von über 30 Prozent. Das ist mehr als jede Inflation, erst recht mehr als jedes Wirtschaftswachstum.
Das ist ein gesamtstaatlicher Irrweg, der nach den verständlichen Ausgabensteigerungen während der Corona-Pandemie dringend zu korrigieren ist. Die öffentlich-rechtliche Republik ist eine, in der wir alle ärmer und unfreier sind!
Unter exakt diesem Eindruck stand unser gemeinsamer Antrag am Dienstag mit der CDU: Die öffentliche Hand, auch in der Stadt Werther, muss an die Knappheit der Mittel permanent erinnert werden. Das alles heißt aber noch lange nicht, dass die Ausgabensteigerung in der Stadt vorrangig selbstverschuldet wäre. So wichtig es ist, dass wir bei allem, speziell bei den „Freiwilligen Leistungen“, überprüfen, was in dieser Zeit tatsächlich unbedingt sein muss, so wenig wurden in der Fläche falsche Ausgaben getätigt. Das muss man deutlich festhalten. Dass ich sage „in der Fläche“ deutet schon an, dass wir als Freie durchaus auch Gegenbeispiele sehen, das deutlichste im laufenden Jahr sind wohl die Ausgaben im Zusammenhang mit der unseligen Einbahnstraße. Die Gegner wie die Befürworter dürfen sich darauf verlassen, dass wir das Thema auch bis zum Kommunalwahlkampf und darüber hinaus nicht vergessen haben werden!
Dass man im Rathaus eine vorausschauende Personalentwicklung betreibt, die stark auf eigene Ausbildung setzt und diejenigen Faktoren fördern will, die man aufgrund der strikten Vorgaben hinsichtlich Bezahlung überhaupt vor Ort beeinflussen kann, sei ausdrücklich gelobt und unterstützt. Wir danken dem Bürgermeister und dem Kämmerer einmal mehr für die Erläuterungen zum Haushalt in unserer Fraktionssitzung.
Leider ist diese Art Ausgabenpolitik nicht der Normalfall; nicht auf EU-Ebene, nicht in Bund, Land, Bezirk oder Kreis. Die Umlagen steigen immer weiter, die fiktiven Hebesätze steigen immer weiter und zugleich sind die Kommunen nicht auskömmlich finanziert. Ich glaube, ich spreche für viele, wenn ich feststelle, dass es frustrierend ist, wenn sich das, was ich eben für das Verhältnis Bürger/Staat beschrieben habe, auch für das Zusammenspiel der föderalen Ebenen wiederholt: Wir stehen als kleine Kommune am Ende der Nahrungskette und unsere
Selbstbestimmung nimmt dadurch ab, dass andere Kosten nach unten durchreichen für Entscheidungen, die wir vielleicht so nicht getroffen hätten.
Ich füge ausdrücklich hinzu, dass das keine parteipolitische Frage ist. Alle Farben, die ernsthaft für Regierungsbeteiligung in Frage kommen, haben da Verantwortung zu übernehmen; in Land wie Bund waren alle in den letzten zehn Jahren in verschiedenen Kombinationen an Koalitionen beteiligt.
Politische Gestaltung zeigt sich nicht nur auf der Ausgaben-, sondern auch auf der Einnahmenseite. Inmitten dieser schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage verbieten sich weitere Belastungen eigentlich, ohne dass es dafür große ökonomische Herleitungen brauchen würde, zumal auf dem Weltniveau der schon bestehenden Steuer- und Abgabenlast in Deutschland. Wenn ich die bundespolitische Debatte verfolge, die manche da führen, muss ich mir schon die Augen reiben. Bei uns haben wir die Wiederholung des schon genannten Musters: Niedrigste Spielräume für uns, steigende Ausgabenwünsche in Bund, Land und Kreis, höhere Hebesätze für die Leute. Die Option, auf diese Erhöhung zu verzichten, haben wir angesichts unserer Haushaltslage nicht, die Erhöhung von Abgaben richtet sich nach den realen Kosten, die Bürger zahlen wieder einmal hier drauf und dort drauf.
Wir Freie werden angesichts dessen nicht müde, für eine Prioritätenverschiebung zu werben: Die dauerhafte Finanzierbarkeit der liebgewonnen „Freiwilligen Leistungen“ hängt nicht allein und auch nicht einmal zuvorderst davon ab, wie viele Fördergelder – übrigens auch von den Steuerzahlerinnen finanziert – wir nach Werther lotsen, so wünschenswert das im ein oder anderen Fall auch sein mag. Die dauerhafte Finanzierbarkeit und damit recht unmittelbar auch die Attraktivität der Stadt, sie hängt an der demografischen Entwicklung, beeinflussbar durch uns am Saldo von Zu- und Fortzügen. Außerdem hängt sie daran, ob sich Unternehmen hier niederlassen, ihre Standorte hier behalten, erweitern können usw.
Der jüngste Antrag des Ev. Gymnasiums zeigt übrigens sehr plastisch, wie wenig abstrakt und theoretisch diese Fragen sind und wie wichtig, aber eben auch gefährdet es ist, dass wir in so einer außergewöhnlichen Situation noch handlungsfähig sind, um die Einrichtungen, die diese Stadt prägen und ausmachen, stützen zu können.
Ich zitiere aus 2012:
„Wollen wir, dass es einen einigermaßen erwähnenswerten Gewerbestandort Werther überhaupt geben soll? Werther hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Hinsicht im Vergleich mit Nachbarkommunen nie sonderlich hervorgetan. Man kann das ja an der Höhe des Gewerbesteueraufkommens objektiv ablesen. Es gibt aber durchaus etliche hier verwurzelte, auch teilweise gewachsene und auch
weiter wachsende Unternehmen, die Arbeits- und Ausbildungsplätze hier in der Stadt anbieten. Dazu haben sich auch in jüngerer Vergangenheit einige weitere Unternehmen in den verschiedensten Branchen neu etablieren können. Über beide„Typen“ freuen wir uns, für beide wollen wir zum Nutzen aller Beteiligten auch als Kommune attraktiv bleiben. Und wenn wir weitere Betriebe nach Werther locken können, dann ist das positiv für alle und dann sollten wir den Weg auch weitergehen, die Bedingungen dafür zu schaffen.
Die Identität unserer Stadt liegt gleichwohl eher […] in ihrem Wesen als Wohnstandort mit kurzen Wegen, einem vielseitigen kulturellen und sportlichen Angebot, mit vielen engagierten Ehrenamtlichen in den Vereinen
und Verbänden. Gründe, selbstzufrieden die Hände in den Schoß zu legen, gibt es allerdings auch in diesem Bereich nicht: demografische und allgemein-soziale Veränderungen lassen eine untätige Stadt im wahrsten Sinne des Wortes schneller alt aussehen, als einem lieb sein kann. Die Frage der Steuereinnahmen ist nur die andere Seite derselben Medaille.“ (Zitat Ende)
Meine Damen und Herren, in den elf Jahren seither haben wir das Gewerbegebiet Rodderheide I erfolgreich an den Start bekommen. Es sind einige sehr interessante und für uns als ganze Stadt in vielfältiger Hinsicht wertvolle Unternehmen dazu gekommen. Im Bereich Rodderheide II hakt es, im Bereich Weco hakt es, nennenswerte Gewerbeflächen gibt es nicht. Weder für die ominösen Start-ups, die nicht dadurch kommen oder entstehen, indem man nur hin und wieder das Wort sagt, noch für Unternehmen, die mehr Platz brauchen. Damit keine Irritationen aufkommen: Es mag ja in jedem Einzelfall gute Gründe dafür geben, dass das so ist. Aber wir dürfen uns eben mit dem Gesamtergebnis dessen nicht abfinden, weder als Rat, noch als Bürgermeister und müssen daher die sichtbare Aktivität in dieser Hinsicht deutlich verstärken.
Am Blotenberg steht noch kein einziges neues Haus, auch wenn wir immerhin so große Hoffnung wie nie haben können, dies heute das letzte Mal sagen zu müssen. In der genannten Rede von 2012 habe ich übrigens die CDU dafür kritisiert, dem Traum von einem Baugebiet „Süthfeld II“ nachzulaufen, wo doch absehbar wäre, dass es bis zum Ende des Jahrzehnts – also 2020 – damit nichts werden könnte. Was das bedeutet und was daraus folgt, möge jeder für sich selbst mal überlegen.
Dieser Haushalt zeigt jedenfalls, dass wir so nicht weitermachen können.
Das ist der Hintergrund unseres Antrags im Haupt- und Finanzausschuss, nämlich die Verwaltung zu beauftragen, ihre Ressourcen verstärkt in diesem Themenbereich einzubringen. Ich danke einer – wenn auch knappen – Mehrheit, unterstützt zu haben, diesen Themen eine neuartige Priorität einzuräumen. Vor diesem Hintergrund und den geringen Spielräumen lehnen wir den Haushalt in diesem Jahr nicht ab, sondern enthalten uns der Stimme. Vielen Dank!